Dienstag, 25. Februar 2014

Nach Norden

Nach Norden 
ein Reisebericht, ohne Bilder.....

Wer einige Tage wegfahren möchte, fährt in den Süden. Selbst Menschen ,die im Süden wohnen, wie wir, fahren in den Süden. Der Sonne wegen und der besseren Stimmung und anschließender noch besserer Hautfarbe und wegen des Lebensgefühls und der Leichtigkeit und wegen des Essens. Ach ja, der Süden eben!
Nun, wir fuhren weg, aber nicht in den Urlaub und auch nicht für länger, sondern nur für zwei Tage und auch nicht zum privaten Vergnügen. Dienstlich sozusagen, wenigstens für die Hälfte unserer Reisegruppe (wir waren zu zweit !).
Es ging in den Norden, nach Oldenburg, gleich neben Bremen, damit schon mal die Richtung klar ist.
Eine Strecke von 780 km, einfach. Aufenthaltszeit und Reisezeit standen in eher ungünstigem Verhältnis. Einer Fahrt von 16 Stunden, stand ein Aufenthalt von 24 Stunden, inklusive Nachtruhe, gegenüber. Ziemlich intensiv also.
Als es losgeht, fahren wir in den Tag hinein, auf der Karte immer nach oben, quer durch unser Land. Der Tag beginnt kalt, aber heiter. Es wechseln Wetter und Landschaften. Die liebliche fränkische Alb, Würzburg im Kessel des Steigerwaldes und dann, immer wieder beeindruckend, das hessische Bergland, die Rhön vor allem.
Kasseler Berge. Soviel Land und Wald. Märchenland, Zauberwald, Räuberwald, Geheimnisberge.
Dann beruhigen sich die Linien, weiten sich. Die Wälder werden licht, die hohen Kiefern kommen und die schwarzweißen Stämme der Birken leuchten in der Regengischt.
Ich habe das nun schon öfter gesehen und immer wieder ist es erstaunlich, wie Wald aussehen kann. Nicht dunkel und dicht, grünschwarz, zwischen Granitfelsen, immer noch dichter werdend, kälter, wild, gefährlich, sondern hell und farbig, leicht.
Die roten Kiefernstämme, oft sonnenbeschienen, leuchten im Kontrast zu den grünen Nadeln, die weißen Birken, noch unbelaubt, der Waldboden vom Wind gekehrt.
Man sieht hindurch wie in eine Säulenhalle. Schnell drehen die Stämme vorbei.
Die Städtenamen auf den Autobahnschildern sind wie ein lange vergessener Geschichtsunterricht. Paderborn, Hildesheim, Braunschweig.
Dann verlieren sich die Bäume, Hannover kommt, die Heide. Bremen.
Weites Land, flach, grün, endlos. Wieder Birken, schwarzweiß, wie die Kühe auf den Weiden. Die ersten Hinweise auf das Meer, die ostfriesischen Inseln.
..... Butje, Butje, timpete...... Jetzt noch ein Stück gerade aus und wir brauchen ein Boot. Aber wir sind in Oldenburg, am Ziel unserer Fahrt, wieder in der Pflicht und das Meer ist soweit weg, wie zu Hause.
Oldenburg empfängt uns mit schlechtem Wetter, die Menschen aber sind ausgesprochen freundlich. Der Zungenschlag nordisch. Ich bemühe mich um ein „Guten Tag!“, bekomme ein „Moin, Moin!“ zurück und lächle, es ist Nachmittag. Der Regen kommt und geht. Der Wind ist kalt und es macht keinen Unterschied, ob er böhmisch weht oder ostfriesisch. Ich friere. Der Stadtplan schickt mich in die Lambertikirche. Gegenüber das Rathaus, natürlich, Kirche und Welt. Ich freue mich am Backstein, moosbewachsen, kunstvoll gemauert, Vorsprünge, Muster, Simse, Giebel. Das Kupfergrün der vielen Turmdächer im schönen Kontrast zur Fassade. Hellgrün und dunkelrot. Der Wind ist schneidend kalt. Der Eingang ein kleiner neogotischer Portikus. Sofort ist es warm und trocken, still. Die Tür zum Innenraum weiß gelackt.
Und dann stehe ich in einem Rotundenbau, in Sonne und Licht und staune über eine hohe Kuppel nach italienischen Vorbild, wie Florenz und Dresden oder der Hamburger Michel. Die Bänke und Galerien im Rund mit dem Altar. Gelb und weiß die Farben, keine Bilder. Ein Trichter aus Licht und Atmosphäre, in dessen Mitte nichts steht, nur Licht ist. Der Blick geht nach oben. Unglaublich, dass es draußen aus tiefen Wolken regnet. Hier ist alles hoch und warm
... du stellst meine Füße auf weiten Raum...“
Die Altarwand ohne Bild, ohne Figuren, nicht einmal ein Kreuz, sondern nur eine Kanzel. Das Evangelium als Altar.
...ich stelle mich unter dein Wort.........am Anfang war das Wort.........wenn ihr nur hören und glauben könntet........ich bin der Weg......dein Wort ist meines Fußes Leuchte.....was er euch sagt, dass tut.....denn das Wort ist mächtiger als das Schwert.
Da wird es mir dann doch schwer, so viel Ernsthaftigkeit und Verantwortung, soviel Richten und Messen und diese strenge Suche nach Gottes ungebeugter Wahrheit. Wie gut, dass ich auch die barocke Leichtigkeit der Asams kenne und das sinnliche Ineinander der Roccaillen, den frommen Handel der Wallfahrten und den Segen der Wegkreuze. So verstehe ich beides und wie gut, dass mein Herz zwei Kammern hat.
Die Menschen hier scheinen unbeeindruckt ob der Schwere ihres Katechismus.
Selten habe ich nettere Ladenbesitzer, Lakritzverkäufer, Briefmarkenhändler und Bierfahrer gesehen. Jeder ist behilflich und höflich, nett und zuvorkommend und absolut unaufdringlich und dann doch so kommunikativ. Im Antiquariat gibt es ein sehr aufschlussreiches Gespräch über Martin Suter, Weinfeld und Allmen, über Köche und erotische Gerichte. Anregend und amüsant.
Die nordische Küche haben wir nicht gekostet. Weder die vielgerühmten Kohlgerichte, noch Labskaus, nicht einmal Fisch. Es ergab sich nicht. Und wir waren auch nicht am Meer. Es ist so nah, dass man davon bei Tisch schwärmt und weit genug entfernt, um es nicht fürchten zu müssen.
Unser Heimweg führt über schon bekanntes Land, nach Worbswede. Kein Umweg, eher Herzensweg. Heinrich Vogelers Barkenhoff steht etwas verlassen auf der kleinen Anhöhe und der glückliche Kaffeetisch mit Clara, Rilke, Otto und Paula ist weite Vergangenheit, ein anderes Leben, fast ein anderes Land. Auch die Besucher unserer Zeit fehlen so früh im Jahr. Der Garten noch winterlich. Paula`s Haus an der Dorfstraße lädt freundlich gelb ein, holzvertäfelt, mit dem letzten Bild auf der Staffelei vor dem Fenster.
Ihre Bilder wirken am tiefsten nach. Die Ernsthaftigkeit der Kinder, die verhaltenen Farben der Sonnenblumen, der müde Blick der Bauersfrauen und Torfstecher. Man sieht die Mühsal. Alles rangen sie diesem flachen, nassen Land ab. Ihre Weiden, ihre Äcker, ihre Winterwärme. Und ihre Lungen wurden im Torfrauch noch eher zu Staub, als ihre Leiber.
Das Teufelsmoor hält bis heute noch manche der Elenden gefangen, die Verlorengegangenen und die Weggeschickten, bis heute getränkt vom Regen, bis heute unheimlich und gefährlich. Der Wind glättet das Land, nur die biegsamen Birken gehen mit ihm und die Gräser, die dann die Häuser decken. Dickes Reet über Backstein. Breite Giebel, selten hoch, langhäusig, behäbig, die Gefache offen. Der Giebelbalken muss lang sein, für den Segensspruch. Kein lateinisches C+M+B. Die Worte sollen verstanden werden. 
WOGOTTNICHTDASHAUSBAUTDASINDUMSONSTDIEDARANBAUEN.
Die Speicher der großen Katen sind voll, die Frauen fromm, die Lehen groß. Und der Deichgraf auf dem Schimmel ist wichtiger, als der Papst und sein lateinischer Segen.
Heute freilich ist es prosaischer, wenn über dem Tor ein "Geit nich, Givt nich" steht.
Worbswede rührt mich an. 
Die baumgesäumten Wege, der immergrüne Rhododendron, die niederen Hecken, das Kirchlein, in der Paula die Glocken zum Spaß läutete und zur Sühne die Balken mit bunten Blumen bemalte, das kleine Bahnhofsgebäude im schönsten Jugendstil, mehr Wintergarten als Wartesaal, gerade so lang, dass der Ortsname Platz hat. Leider ist nicht einmal eine Teestube geöffnet. Aber ich bin nicht enttäuscht. Schon zweimal war ich hier. Zweimal mehr, als ich je gehofft hatte.
Die Heimfahrt zieht sich hin. Die Strecke ist bekannt, das Wetter unmöglich und der Verkehr auch. Aber die Musik stimmt und das Reden und das Schweigen. Noch einmal gibt es Spektakuläres zu sehen, wieder die Rhön: In der Dämmerung glühen die Ränder der Bergketten im Wolkenspalt der untergehenden Sonne. Unglaublich schön, in dramatischen Farben und Kontrasten. Ein Blick wie auf Mittelerde. War Tolkien hier? Irgendwann werde mir das mal von der Nähe anschauen müssen.


2 Kommentare:

  1. Liebe Ilona - dieser Reisebericht, einfa
    ch wunderbar...gerne lassen wir uns von dir entführen, spüren, riechen, sehen, erleben fast alles mit dir....am liebsten würden wir d i c h entführen, mit Sandwich und einer Kanne Tee auf den Beifahrersitz verfrachten und dich mitnehmen - wohin auch immer - ob nah oder - fern und uns von dir die Welt erzählen lassen....♥

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  2. Da hätte ich noch ein Anliegen an dich:
    gerade stehe ich auf der Leiter, staube meine Bücherregale ab und versuche sie neu zu ordnen....nun grüble ich schon die ganze Zeit über dem wie....
    Genre, dann nach Autor - oder lieber nach Verlag, Genre und Autor wegen der Optik - nach Größe - Farbe - Autor ????
    Sei doch so lieb vielleicht beglückst du uns mit einem schönen philosophischen Text über Bibliotheken.... :-)
    alles Liebe
    deine Ruth

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